In „Die Tagespost“ vom 27.5.2010
Bundesminister Dirk Niebel schreibt in seinem Artikel „Liberal in Richtung katholischer Soziallehre „: „Wussten Sie, dass eine Milchkuh in Europa pro Jahr mehr finanzielle Unterstützung erfährt als ein Mensch in einem Entwicklungsland zum Leben hat? Subventionierte EU-Agrarprodukte führen zur Überschussproduktion, die-mit weiterer finanzieller Förderung-zu Dumping-Preisen in Entwicklungsländern landen und die dortigen lokalen Märkte zerstören, deren Aufbau nicht selten durch Entwicklungsmaßnahmen unterstützt wurde.“
Wenn es denn so wäre, dann könnte daraus auch nur eine Schlussfolgerung gezogen werden: politische Interventionen führen zu keinen guten Ergebnissen. Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards wäre besser. Die Landwirtschaft will diese Subventionen nicht, lieber wäre ihr, wenn sie das Einkommen über den Markt erzielen könnte. Die Voraussetzungen dafür hat die Politik bis heute nicht geschaffen.
Die subventionierten Agrarexporte sind ein Ärgernis. Sie wurden in den vergangenen Jahren nach und nach gekürzt und sollten alsbald auslaufen. Zu bedenken ist aber auch dies: Es steht in der Macht der Entwicklungsländer, schädliche Auswirkungen möglicher Exportsubventionen (von wem auch immer) zu verhindern. Sie haben nach den WTO-Regeln das Recht, zum Schutz ihrer Bauern auf Importe sehr hohe Zölle zu erheben. Das tun die meisten nicht, weil dadurch die Lebensmittel für die eigene städtische Bevölkerung teurer würden. Und deren Versorgung mit billigen Nahrungsmitteln hat für die meisten Regierungen der Entwicklungsländer Priorität vor den Interessen der Bauern.
Bei der Diskussion über die Exportsubventionen der EU, deren Umfang bekanntlich deutlich abgenommen hat, wird üblicherweise übersehen, dass die Entwicklungsländer das Recht haben, sich von der Liste der Länder streichen zu lassen, für die die EU Exportsubventionen gewährt. Davon machen die wenigsten Gebrauch.
Weil in vielen Entwicklungsländern die Interessen der Kleinbauern nur geringe Priorität haben, obwohl sie die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen, ist die Landwirtschaft in diesen Ländern nicht so attraktiv wie sie sein könnte (wir reden hier nicht über Exportorientierte großflächige Plantagenwirtschaft). Die Folgen sind ländliche Armut, Land-Stadt-Wanderung, nachlassende landwirtschaftliche Produktion und damit Zunahme des Hungers. Es ist ja nicht von ungefähr, dass der Anteil der Landwirtschaftsbezogenen Entwicklungshilfe von knapp einem Viertel zu Anfang der 80er Jahre auf kümmerlich vier Prozent zurückgegangen ist. Das liegt daran, dass Entwicklungshilfe im Wesentlichen nachfragegesteuert ist, d.h. die Regierungen der Empfängerländer schlagen Projekte vor, die sie für wichtig halten.
Die Fachleute sind sich weitgehend dahin einig, dass die größten Hindernisse der landwirtschaftlichen Entwicklung in ungerechten Landbesitz- und Landnutzungsrechten, sowie Wassernutzungsrechten liegen. Die haben nun mit der EU-Agrarpolitik nichts zu tun, sondern müssen von der jeweiligen Regierung selbst organisiert werden. Dabei können die reichen Länder zwar helfen, sie aber nicht gegen die Länder durchsetzen.
Papst Benedikt XVI: „Der Hunger hängte weniger von einem materiellen Mangel ab als vielmehr von einem Mangel an gesellschaftlichen Ressourcen, deren wichtigste institutioneller Natur ist. Das heißt, es fehlt einer Ordnung wirtschaftlicher Institutionen, die in der Lage sind, sowohl einen der richtigen Ernährung angemessenen regulären Zugang zu Wasser und Nahrungsmitteln zu garantieren, als auch die Engpässe zu bewältigen, die mit dem Grundbedürfnissen und dem Notstand im Fall echter Nahrungsmittelkrisen verbunden sind“ (CV 27).
Nach der weltweiten Ernährungskrise der letzten Jahre hat die Weltgemeinschaft reagiert. Landwirtschaft und ländliche Entwicklung sind zu Themen auf den G8/G20 Gipfeln und damit zur Chefsache geworden. Auf dem letzten Gipfel in L ´Aquila haben die Regierungschefs versprochen, in den nächsten drei Jahren rund 20 Milliarden Dollar in die weltweite Entwicklung der Landwirtschaft zu stecken. Das ist richtig und wichtig genug. Denn:
Die Landwirtschaft soll Hunger und Armut bekämpfen, Nahrungsgüter produzieren , sie soll dies weltweit auch ökonomischer und ökologischer tun, sie soll nicht nur mehr Nahrungsmittel produzieren sondern auch die Treibhausgase reduzieren, sie soll Energie produzieren.
In der Zeit zwischen 1870 und 2000 hat die Welt Landwirtschaft tendenziell immer mehr Nahrungsmittel für immer mehr Menschen zu immer geringeren Preisen produziert. In den vergangenen 50 Jahren sind die Weltagrarpreise, zumal die Getreidepreise erheblich gesunken und haben heute noch nicht wieder das Niveau von damals erreicht. Sinkende Preise führen zu sinkendem Interesse an der Landwirtschaft und zu geringen Investitionen. Dies führte auch zu einem sinkenden Anteil der Landwirtschaft an den weltweiten Ausgaben für Entwicklungshilfe
Eine globalisierte Ökonomie ohne faire Spielregeln führt zu Fehlentwicklungen. Solche Spielregelnmüssen von der Politik vorgegeben und durchgesetzt werden.
Die Väter der sozialen Marktwirtschaft gingen davon aus, dass eine Marktwirtschaft in der ihr eigenen Dynamik Tendenzen eigener Zerstörung aufweist. Sie leiteten daraus ab, dass der Staat regulierend eingreifen darf und muss, um Monopole und Kartelle zu verhindern, um den Wettbewerb, also den Motor der Marktwirtschaft zu sichern. Die Idee, dass die Marktkräfte aufgrund ihres wohlverstandenen eigenen Interesses vernünftig handeln und sich entsprechende Regeln auferlegen, die den Bestand der Märkte sichern, ist eine Illusion.
Markt- und Moral sind keine Gegensätze. Der Markt ist eine wichtige soziale Institution, weil er wirksamere Ergebnisse sichern kann. Ein von Wettbewerb bestimmter Markt ist ein wichtiges Mittel um die Ziele der sozialen Gerechtigkeit zu erreichen. Der Markt jedoch braucht Regeln. In ihnen muss schon die moralische Zielsetzung verankert sein. Zum Beispiel das Gebot der Nachhaltigkeit.
Das Wissen der Menschen für die Menschen nutzbar zu machen geschieht am besten im Wettbewerb und auf dem Markt.
Bundespräsident Horst Köhler: „Vieles ließe sich schon erreichen, wenn sich die verschiedenen Organisationen der Vereinten Nationen besser koordinierten und damit stärker zu einem gleichgerichteten Vorgehen kommen könnten…. Die großen internationalen Organisationen sollten Leitlinien dafür entwickeln, wie die Dimensionen der ökonomischen, ökologischen und der soziale Entwicklung miteinander in Einklang gebracht werden können.“
Auszug aus der Studie „ Welthandel im Dienste der Armen“ im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz:
„Vielfältige globale Verflechtungen und Abhängigkeiten haben freilich zur Folge, dass die Strukturen der Weltwirtschaft zunehmend den Handlungsspielraum für eine entwicklungsförderliche Politik auf der Ebene der Nationalstaaten einengen. Aus diesem Grund braucht es einen fairen Ordnungsrahmen für den Welthandel, damit alle und besonders die kleinen und ärmeren Länder seine Vorteile nutzen können. Ebenso sind Institutionen und Instrumente notwendig, um negative Rückwirkungen der Weltmarktintegration, besonders auf die Armen, wirksam einschränken zu können…
Eine globale Ordnung des Welthandels, die wirksam zur Bekämpfung der Armut beiträgt und eine nachhaltige Entwicklung fördert, bedarf funktionsfähiger und demokratisch legitimierter multilateraler Institutionen. Bisher sind die verschiedenen weltwirtschaftlichen Institutionen allerdings nur mangelhaft miteinander verbunden und aufeinander abgestimmt. Dies gilt ganz besonders für die Organisationen und Institutionen, die für die internationale Sozial-, Umwelt-, Menschenrechts- oder Entwicklungspolitik zuständig sind. Die WTO und ihre Mitglieder sollten international verbindliche Ziele wie die Menschenrechte, die Rio-Konvention für nachhaltige Entwicklung oder die Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen als Maßstäbe auch der eigenen Politik begreifen. Einen Anknüpfungspunkt dafür bietet die Präambel der WTO, die sich zu Zielen wie der Erhöhung des Lebensstandards, der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung und dem
Schutz und Erhalt der Umwelt bekennt. Dazu sollten sich beispielsweise WTO und andere multilaterale Organisationen wechselseitige Beteiligungsrechte in ihren Ausschüssen, Lenkungsgremien und Generalversammlungen einräumen ..“
Wir leben in einer europäischen Kulturlandschaft.
Europäische Landwirtschaft, das bedeutet: multifunktionale , nachhaltige, wettbewerbsfähige und flächendeckende Landbewirtschaftung.
Merkmale bäuerlicher Landwirtschaft sind: nachhaltig und umweltgerecht, bodengebunden und tierartgerecht, eigenverantwortlich und eigentumsorientiert, vielfältig strukturiert, wettbewerbs- und leistungsfähig, marktorientiert.
Aufgaben:
Produktion hochwertige Nahrungsmittel- nachwachsende Rohstoffe – Pflege und Erhalt der Kulturlandschaft – Schutz der natürlichen Ressourcen ( Boden, Wasser, Luft, ökologische Vielfalt ) – Realisierung der Stoffkreisläufe in der Abfallwirtschaft – Freizeit und Erholungsangebot – sparsamer Flächenverbrauch für Bebauung, Infrastruktur, – Erhalt von Eigentum und Bindung an den Boden – Beitrag zum Erhalt der Bindung an Dorf, Heimat und kulturelle Tradition.
Dieses europäische Modell ist zu Weltmarktpreisen nicht zu haben.
Die Schöpfung zu bewahren ist Auftrag und Verpflichtung. Die persönliche Verantwortung des Menschen ist eine schöpfungsbedingte Verpflichtung. Wir dürfen die Grundlagen unseres Lebens nicht zerstören. Jede Generation hat ein Recht auf die Chance der nachhaltigen Entwicklung. Und jede Generation muss sie schöpferisch nutzen. Wir haben nur eine Welt. Deswegen gilt: Alle wirtschaftlichen Aktivitäten dürfen die Chance zukünftiger Generationen nicht schmälern. Aus diesem Grunde sind globale Langzeitstrategien zu entwickeln. Sie müssen global und lokal anwendbar sein und ökologisch den lokalen Standortverhältnissen sowie sozial der lokal gewachsenen Kultur entsprechen.
Hermann Kroll-Schlüter, Staatssekretär a.D.
Präsident des Internationalen Ländlichen Entwicklungsdienstes(ILD)
Vorstandsmitglied des Ökosozialen Forum Europa